Sonntag, 20. Mai 2012

Still Life (Jia Zhangke, 2006)

"But it's under water!"

OT - Sanxia haoren
Regie - Jia Zhangke
Drehbuch - Jia Zhangke, Na Guan, Jiamin Sun
Kamera - Nelson Yu Lik-wai
Erscheinungsjahr - 2006
Laufzeit - 111 Minuten

Mehr als 4 Millionen Menschen wurden bis 2008 umgesiedelt aufgrund der Flutung von einem mehr als 600 Kilometer langem Reservoir. Alles für das Megaprojekt der Drei-Schluchten-Talsperre. Ein gigantischer Staudamm welcher enorm viel Energie herstellt und dafür sorgt das, vor allem in dieser Region, häufige Überflutungen und dessen Schäden zu minimieren. Zwei sehr positive Eigenschaften. So hat China also etwas wertvolles gewonnen mit dem Bau dieses Monsters. Doch was hat es verloren? Ist das Endresultat wirklich so erstrebenswert gewesen um all diese Missstände welche durch den Bau auftraten zu akzeptieren? Schwer zu sagen für uns Außenstehende. Doch bietet Jia Zhangkes Still Life uns einen exzeptionellen Blick in diese fast schon apokalyptisch anmutende Umgebung kurz vor der Flutung. Grob gesehen geht es um zwei Menschen die beide, aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft nach Fengjie reisen um nach Personen zu suchen die sie lange nicht mehr gesehen haben. Für den Mann aus ärmlichen Verhältnissen ist es die Ex-Frau und das gemeinsame Kind welche er seit 16 Jahren nicht mehr gesehenen hat und für die Frau (gespielt von Jias Muse, der schönen Zhao Tao) aus bürgerlichem Mittelstand ist es er Ehemann von dem sie seit zwei Jahren nichts mehr gehört hat.


Jia folgt den zwei Personen mit weichen tracking shots und kontemplativer Ruhe durch diese bald im Wasser untergehenden Umgebung und verbindet ihre zwei Wege nur durch ein Element welches in all dem Realismus anfänglich leicht verwirrend wirkt. Der Übergang zwischen der Geschichte des Mannes und der der Frau sowie der zurück wird durch das sichten eines Ufos erzeugt. Ein Element welches, wie schon gesagt, in Jias wirklich enorm realistisch gehaltenem Stil, welcher auch durch die Umgebung entsteht, wie ein Fremdkörper wirkt. Wieso also so eine übernatürliche Erscheinung? Wieso so etwas nicht Weltliches mag man sich jetzt fragen. Doch sieht man sich in der Welt des Films genauer um und schaut auf die Umgebung durch welche unsere beiden Personen laufen dann scheint sich da langsam eine Parallele anzubahnen. Denn aufgrund der großen Umsiedlung von ganzen Städten und der darauffolgenden Überflutung mussten auch die ganzen Gebäude zerstört werden. So stehen also Männer auf den Häusern und hauen mit ihren Hämmern Tag für Tag auf den Beton, und langsam wird aus einer einstigen Stadt mit Leben eine fast schon dystopisch anmutende zertrümmerte Welt in der es nun stets um Reduktion geht. Es ist ein sehr befremdlicher Anblick, eine sehr lebensfeindliche Umgebung durch welcher unsere zwei Protagonisten laufen mit samt ihren individuellen Problemen, wobei der Mann dann sogar beim demolieren hilft da es gutes Geld bringt. Deshalb dann auch das Ufo, oder das Gebäude welches in der Mitte des Filmes wie eine Rakete im Himmel verschwindet. Jia braucht einfach etwas um dieses gigantische topographische Verschwinden zu repräsentieren. Als er das erste mal diese Gegend besuchte mit all der Zerstörung, all der Asche, all dem Betonskeletten dachte er sich das so etwas doch nicht von Menschenhand gemacht werde könnte. Dieses Gefühl, diese Erfahrung, welche nicht nur er sondern auch jeder einzelne der davon betroffen war empfand, dies versucht er auch uns spürbar zu machen. Still Life verkörpert exakt das und zeigt uns das Opfer welches bei solch einem großen Projekt übersehen und für notwendig empfunden worden ist.  Ein Landstrich der sich selbst zerstört, an Anblick so wortlos wie absurd.

Donnerstag, 17. Mai 2012

24 City (Jia Zhangke, 2008)

" I'd really hide my tears and pretend to be happy."

OT - Er shi si cheng ji
Regisseur - Jia Zhangke
Drehbuch - Jia Zhangke & Yongming Zhai
Kamera - Wang Yu, Nelson Yu Lik-wai
Erscheinungsjahr - 2008
Laufzeit - 112 Minuten


Fünf mal Realität. Vier mal Fiktion. In 24 City kommt Jia Zhangke dem Wesen der Erinnerung und der Geschichte seiner Nation und auch dem Wesen der Geschichte als Vergangenheit Rekonstruierendes Werkzeug generell, näher als je zuvor. Was anfing ein "normaler" Dokumentarfilm zu werden über eine staatliche Fabrik, dessen Sinn die Herstellung von diversen Flugzeugkomponenten oder Rüstungsgegenständen ist und welche nun platz machen muss für einen eleganten und modernen Apartmentkomplex wurde nach einiger Zeit in der Produktion zu etwas deutlich größerem. Die eigentliche Intention war es mehrere Personen zu Interviewen die allesamt persönliche Geschichten über ihre Zeit und Erlebnisse in dieser Fabrik wiedergeben durften. Verständnis halber sei angemerkt das zu der "Fabrik 420" auch eine eigene Arbeitersiedlung gehörte mit Wohnungen sowie einer Schule, einem Kino oder zum Beispiel auch einem Schwimmbad. So gesehen geht mit der Rüstungsfabrik 420 also auch eine kleine Stadt, dessen Menschen nicht wirklich zum Klientel der bald heraufgezogenen Apartments gehören. Dies war die Grundidee welche durch das Thema allein schon Stoff für einige interessante Fragen bezüglich der stetigen Globalisierung Chinas und dessen dazugehörigen Opfer stellte. Doch Jia wurde nach einigen Interviews etwas bewusst, etwas fehlte, etwas wichtiges. Fiktion. Ihm wurde klar das er den Film nicht nur mit realen Nacherzählungen füllen konnte um die für ihn wichtige Auseinandersetzung mit Erinnerungen und Geschichte wirklich wahrhaftig im Film wiederzugeben. Für ihn besteht Geschichte nämlich nicht nur aus dem Realen sondern auch aus der Fiktion, der Vermischung beider. Man erinnere sich nur an Masaki Kobayashis exzellenten Film Harakiri aus dem Jahre 1962 um dieses Empfindung zu verstehen.


So entschied Jia sich also den Film aufzuteilen, er zeigt uns auf der einen Seite reale Arbeiter mit realen Geschichten und auf der anderen Seite erfundene Geschichten erzählt von Schauspielern. Was davon nun wahr und falsch ist bleibt uns zu überlassen da er dies nicht ankündigt. Wäre man sich der Tatsache z.B. nicht mal bewusst würde man dank der authentischen Darstellung der Personen gar nicht erkennen das hier überhaupt was nicht der Wahrheit entspricht sondern ein Teil der Fantasie des Regisseurs entsprungen ist, was für den Film spricht. Mit dem Wissen, welches spätestens dann kommt wenn man Jias Muse, Zhao Tao, welche auch in all seinen anderen Filmen mitspielte, zu Gesicht bekommt wird "24 City" zu einem nicht nur sehr aufwühlendem Werk aufgrund der persönlichen Schicksale der Personen sondern auch ein enorm Stimulierendes. In typischer talking heads Mode sitzen nämlich neun Menschen vor der Kamera und erzählen, meistens tragisches und für jene Leute existenziell äußerst erschütterndes. Doch sie sitzen nur und erzählen und erzählen und zwischen den Interviews gibt uns Jia Bilder der "Rüstungsfabrik 420" und dessen unerbittliches dahinscheiden sowie Bilder der nun aus der Asche dieser Erinnerung heraus entstehenden Apartments. Und inmitten all des Erzählens wird man sich langsam eines Spruches bewusst welches lautet "show, don't tell" und man mag sich fragen was es bringt für Minuten nur einer Person beim Reden zuzusehen. Das ist doch nicht Film? Oder? Naja, Film ist alles, da gibt es keine Limitationen. Denn wie Bordwell einst sehr gut argumentierte das zwar dies zeigen-aber-nicht-erzählen meistens der Richtige Weg sei in diesem Medium es manchmal auch eine große Wirkung durch das "show the telling" entstehen kann in den Richtigen Händen. Zeige das erzählen. So sind die Geschichten doch zu innig und tiefempfundene, egal ob Real oder Fiktion oder mit dramatischem oder realistischem Ton, als das man sie rekonstruieren sollte. So ist 24 City in letzter Konsequenz nicht nur ein enorm menschlicher Film sondern auch ein Film über Film und dessen suggestiver Fähigkeit Erinnerungen für uns sichtbar zu machen ohne die eigentlichen Bilder zu ihnen versuchen wiederzugeben um somit die Wahrheit der Erfahrungen akkurater darzustellen.

Dienstag, 8. Mai 2012

The World (Jia Zhangke, 2004)

"Got some Band-Aids?"

OT - Shijie
Regie & Drehbuch - Jia Zhangke
Kamera - Nelson Yu Lik-wai
Erscheinungsjahr - 2004
Laufzeit - 138 Minuten




The World hat einen besonderen Standpunkt in der Karriere von Jia Zhangke. Es ist der erste Film für den er eine offizielle Genehmigung von dem Chinesischen Filmbüro bekommen hat. Dies war vor allem für ihn sehr wichtig da er den Film nun auf den großen Leinwänden des Landes zeigen konnte. Nun mag man durchaus denken das das erhalten dieser Genehmigung die Integrität des Regisseurs gekostet hat. Eine begründete Angst die von dem Film aber schnell als haltlos offenbart wird. Schon in der ersten Szene, arrangiert als lange kontinuierliche Einstellung, zeigt uns Jia das er für The World seinen Realismus nicht verloren hat. Die Kamera folgt einer Frau gekleidet in einem orientalische Anmutendem grünen Kleid durch einen langen Korridor. Von allen Seiten hört man hektisches Getümmel. Eine große Show steht an und wir befinden uns hinter den Kulissen. Die Frau in grün läuft und ruft ununterbrochen ob den jemand ein Pflaster hat. Ein Pflaster. Nur eins. Ein Königreich für ein Pflaster. Sie biegt in die erste Umkleide ab und fragt, doch keiner kann ihr Verlangen befriedigen. Bis sie von irgendwo dann endlich ein Ja hört. Die Frau weiß wer da gerade geantwortet hat, man kennt sich ja, und bekommt endlich von einer Kollegin ihr heißersehntes Pflaster. Sie lässt sich auf dem erstbesten freien Stuhl nieder um es zu entpacken. Um sie herum ist aber eine Umkleide voller komisch gekleideter Personen die sich anziehen. Oder es jedenfalls versuchen, so stürmt nämlich sofort eine ihrer Freundinnen auf sie zu noch bevor das Pflaster seinen rechtmäßigen Platz am Körper der grün gekleideten Frau finden konnte. Ihr Kleid geht nicht zu. Der Reißverschluss klemme. Dabei fängt das große Spektakel doch gleich an. So wird also versucht mit aller Gewalt diesen Reißverschluss endlich zu entklemmen, ohne Erfolg. Doch die Zeit wird knapp, die Organisationsleiterin steht schon in der Umkleide und scheucht die anwesenden raus auf die Bühne. Die Show fängt doch jetzt an. In letzter Sekunde also holt unsrer grüne Frau eine Sicherheitsnadel und schließt mit ihr das Kleid einfach provisorisch zu. Fertig. Das Mädchen rennt glücklich raus. Nun ist auf einmal ruhe. Alle sind weg. Die Frau im grünen Kleid setzt sich auf eine Stuhl und nun sehen wir auch wo das Pflaster hinkommt, was ihr denn so Schmerzen bereitet hat das sie unbedingt ein Pflaster wollte - Die Füße. Ein Bild so einfach wie aussagekräftig. Entwicklung durch Offenbarung also. Oder so ähnlich. Jias Hang zum Realismus, zum realen Realismus welcher seine vorherigen Filme auszeichnete, ist auch hier schon in der ersten Einstellung, in dieser ersten Szene gut sichtbar und bietet uns zudem einen guten Einblick in die ineinandergreifende Struktur des Ortes in welchem der restliche Film spielen wird. Eine "Welt-Park" in welchem man nur fünf Minuten laufen muss um vom Eiffelturm zu den Pyramiden in Gizeh zu kommen. Eine Welt also, auf kleinsten Raum nur durch Metropolen gekennzeichnet, in welcher trotz all der kulturell dargestellten Unterschiede und fast lebensgroß nachgestellten Wahrzeichen die soziale Komponente der Personen die in diesem Park arbeiten, der Menschen also, am wichtigsten und zentralsten ist. Kino als Fenster zur Welt, in der Welt.

21th Century Cinema in Images - The World














Montag, 7. Mai 2012

Inside

"I killed my mother.."

OT - À l'intérieur
Regie - Alexandre Bustillo & Julien Maury
Drehbuch -  Alexandre Bustillo
Kamera - Laurent Barès
Erscheinungsjahr - 2007
Laufzeit - 80 Minuten


Es ist nicht so sehr das Inside ein wirklich schlechter Film ist, so genannt zu werden wäre ja schon wieder ein Privileg, er ist einfach kein guter Film. Ja darin liegt ein Unterschied. Und ja ich nehme es mir den Absolutismus mal einfach raus. Mit unter all dem Blut vergossenen doch sehr formelhaft angewendeten Versatzstücken aus Filmen die mehrere Jahrzehnte nun schon vergangen sind will Inside nämlich nur das eine. Extreme. Die Fallhöhe ist da egal. Der Film lechzt danach und suhlt sich in ihnen wenn er endlich mal von der Leine gelassen werden darf. Dahingehend kann man den Film nämlich auch nicht wirklich Kritisieren. Nur scheint dies einfach alles zu sein was erreicht werden will. Die ab und an, während dem Blutrausch, aufkeimende und anscheinend die physische Gewalt spiegelnde Soundkodierung suggeriert zwar ab und dann das da noch irgendwo Terror heraufbeschworen werden sollte, verblasst in seiner uneinheitlichen Verwendung aber meistens und bleibt unbeeindruckend. Deswegen fällt es mir auch schwer Inside als schlechten Film zu bezeichnen so hat er doch alles erreicht was er wollte: Das Blut ist rot, die Effekte sind "fabelhaft" und die Extreme extrem. Wer nicht mehr von Film will (und das ist jetzt nicht wertend gemeint, jedem das seine) darf sich hier also froh schätzen, ich bleib leider Schulter zuckend und unaufgeregt zurück und denke mir meinen Teil.