Dienstag, 26. März 2013

Karamay (Xu Xin, 2010)

"[...] During the performance a fire breaks out in the hall, killing 323 people and wounding over 130. Most of the casualties are schoolchildren between the ages of 6 and 14. Karamay City officials escape with no more than minor injuries."

Regie & Kamera - Xu Xin
Erscheinungsjahr - 2010
Laufzeit - 356 Minuten


"Karamay" ist bei weitem kein vollkommen singuläres Erlebnis (Erlebnis im Kontext der Form) im Kino. Die Endscheidung einen Dokumentarfilm zu machen der fast ausschließlich durch seine einseitigen Interviews strukturiert/definiert ist, mag dem einen oder anderen vielleicht schon bekannt sein. Unter den wenigen Beispielen dieser konsequenten dokumentarischen Ausdrucksform findet man auf der einen Seite Claude Lanzmanns "Shoah", der z.B. komplett auf Archivmaterial verzichtet (etwas das "Karamay" verständlicher weiße nicht machen muss, da seine Thematik ja anders als der Holocaust kaum bekannt ist und sogar systematisch unterdrückt wird), wobei sich auf der anderen Seite der Chinese Wang Bing befindet mit seinem Film "He Fengming - Chronicle of a Chinese Woman" welcher diese Form endgültig purifiziert in dem er komplett auf externe Realitäten verzichtet und für die gesamte Laufzeit nur einer einzigen Person gegenüber sitzt und ihrer Geschichte zuhört. Xu Xin ist somit also nicht alleine mit seinem Film. Einzigartig ist "Karamay" aber trotzdem. Die angesprochenen Filme kehren auf ihre Weiße nämlich den gemeingültigen Standard vieler Dokumentarfilme um, in dem sie den Zuschauer nicht aufklären oder ihm gar etwas erklären wollen. Man will sie dazu bringen zuzuhören. Eine alternde Aktivität in unserer Zeit. Doch ist dies die wirklich menschlich/moralisch/anthropologisch vertretbare. Dem Zuschauer auf der Couch oder in dem dunklen Kinosaal eben mal nicht durch ein artifizielles oder didaktisches Vorgehen eine Geschichte miterleben lassen, nach dem "Privilegierten Prinzip", die andere Menschen durchlebt haben. Sondern uns die Gesichter und Körper dieser Personen vorzusetzen. Ihre Stimmen. Ihnen einfach mal wirklich zuzuhören. Sie das sagen zu lassen wofür sie von ihrer Gesellschaft in den Wahnsinn getrieben werden. Ihren Worten lauschen. Die kleinsten Unebenheiten und Brüche in ihren Gestiken oder Stimmlagen wahrnehmen. Ihren Schmerz sehen, nicht "Vor-fühlen" lassen. Wir hören die zahlreichen Testamente einer tragischen Nacht die zu vielen unschuldigen Menschen sinnlos das Leben genommen hat und müssen mit noch tragischer Erkenntnis dessen Konsequenzen erfahren. In der Mitte des Filmes sagt eine Frau sehr passend "Wir haben so viele Probleme über die wir nur Reden können. Dies ist unsere einzige Waffe." Eine Waffe namens Wahrheit dessen Kraft sich die Mächtigen des Landes nur allzu bewusst waren und immer noch sind, weswegen sie den Opfern diese Waffe entzogen hatten. Xu Xin gibt sie ihnen durch seine Kamera zurück.

Montag, 11. März 2013

Petition (Zhao Liang, 2009)

"Are we not humans?"

OT - Shang Fang
Regie & Kamera - Zhao Liang
Erscheinungsjahr - 2009
Laufzeit - 123 Minuten


Das System gegen das Individuum. Ein ewiger Kampf, dessen Verlierer die Menschlichkeit des einen ist und leider immer öfters das Leben (im wörtlichen oder eben übertragenen Sinne) des anderen fordert. Doch ist das hier nicht Kafka oder Orwell. Dies ist keine Zukunftsvision oder Fiktion. Dies ist leider Realität. Und die ist wie so oft noch abstruser in ihren Ausmaßen und fataler in ihren Konsequenzen als man es sich ausmalen könnte. Immer mit dem Drang nach vorne, mit dem einen Ziel vor Augen rettet Zhao Liang mit Petition ein Bild der Realität vor seiner Verfälschung oder dem vollkommenen Vergessen. Ein Bild in welchem der Mensch auf seiner Suche nach Gerechtigkeit durch eine nur sich selbst nutzende Bürokratie in ein Leben der Transgression gezwängt wird, während um ihn herum seine Stadt vollkommen der Progression verschrieben ist. Hoffnung ist in diesem Leben nur der Ausbruch aus dem Kreislauf. Entweder durch den eigenen Tod oder durch das Aufgeben der Suche nach dem was doch eigentlich "Richtig" sein sollte. Wie ein Schnellzug auf der einen Seite das Leben einer alten Dame nach ihrem jahrelangen und erfolglosen Kampf nach Recht brutal beendet hat, bietet er einem jungen Mädchen das jahrelang an der Seite ihrer Mutter ihr eigenes Leben aufgegeben hat nun die Hoffnung auf ein neues Leben.